17.08.2005
Die
Orgel in der Talartasche
Jetzt kann es in
den Gotteshäusern auch ohne Tasteninstrument tönen
H.-DIETER KUNZE
KOLPIEN Einen Gottesdienst der besonderen Art gab es am vorigen
Sonntagnachmittag beim Mühlentag an der Holländermühle in
Kolpien bei Dahme. Geläut leitete ihn ein, obwohl die Glocken
des etwa 800 Meter entfernten Kirchturmes stumm blieben. Als
Glöckner fungierte vielmehr Pfarrer Dirk Lehner aus Knippelsdorf,
der unmittelbar vor seinen Gläubigen stand. Er brauchte
allerdings nicht schwitzend an Seilen zu ziehen, sondern drückte
ganz einfach einen Knopf an dem kleinen Kästchen, das bequem in
seiner Talartasche Platz gefunden hatte, und schon tönten über
zwei Lautsprecher die Glocken. Die über 100 Gäste waren
natürlich erstaunt und Dirk Lehner lüftete schließlich das
Geheimnis. Das zigarettenschachtelgroße Teil in seiner
Talartasche heißt Kirchen-Musik-Kompakt-System (KMKS 12), ist ein MP
3-Player, auf dessen Festplatte sowohl das Glockengeläut als
auch Orgelmusik gespeichert sind.
„Erfinder“ der Orgel
sind Jack Lear und Annett Zöffel aus Linda im Landkreis
Wittenberg. Annett Zöffel ist ausgebildete Organistin, ihr
Partner ist gelernter Büromaschinentechniker. „Organisten sind
noch viel rarer als Pfarrer“, erläutern sie, „deshalb haben wir
uns Gedanken gemacht, was da zu machen sei.“ In einer
ausgesprochenen Fleißarbeit setzte sie sich zu Hause an die
elektronische Orgel und begann, das gesamte evangelische Liedgut
auf die Festplatte des KMKS 12 zu überspielen. „Wir verstehen
uns keinesfalls als Konkurrenz zu Organisten.
Original-Orgelmusik ist durch nichts zu ersetzen, aber manche
Kirchen haben gar keine Orgeln, da wollen wir mit unserem Gerät
helfen“, sagt Jack Lear.
Pfarrer Dirk Lehner jedenfalls
ist begeistert. Zu seinem Pfarrbereich gehören die Gemeinden
Knippelsdorf, Werchau, Wildenau, Wiepersdorf, Mehlsdorf, Schöna
und Kolpien. „In allen sieben Orten gibt es Gotteshäuser mit
Orgeln. Aber keiner kann sie spielen“, bedauert Pfarrer Lehner,
„und eigentlich bräuchten wir sieben Organisten.“ Zwar gibt es
einen Hoffnungsschimmer, denn der junge Sven Dizuballe aus
Wiepersdorf absolviert gegenwärtig eine Ausbildung als
Orgelspieler. Bis er zum Einsatz kommen könnte, freut sich der
Pfarrer über die kleine „Schachtel“. Auf jeden Fall möchte er
eine für seinen Pfarrbereich ordern – man müsse in der heutigen
Zeit eben neue Wege gehen. Nicht nur zu Gottesdiensten, sondern
auch zu anderen Anlässen wie Hochzeitsjubiläen, Konfirmationen
oder Beerdigungen kann er sich eine Verwendung der kleinen
„Kirchenmusikbox“ vorstellen. Auch Annett Zöffel und Jack Lear
fühlen sich bestätigt, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen
haben. Sie hoffen auf einen großen Bedarf für ihr „gemeinsames
Kind“ KMKS 12, von dem es gegenwärtig erst drei Exemplare gibt.
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